Glutenfrei – und trotzdem Beschwerden?

Glutenfrei – und trotzdem Beschwerden?

Warum die Zukunft der Ernährung nicht nur glutenfrei, sondern auch smarter sein muss

Die glutenfreie Ernährung erlebt einen Boom: Supermarktregale sind voll von glutenfreien Produkten, Restaurants werben mit glutenfreien Menüs und Social Media ist überschwemmt mit Rezeptideen. Viele Menschen greifen heute zu glutenfreien Lebensmitteln – sei es aus gesundheitlicher Überzeugung, wegen einer ärztlichen Diagnose oder aus Unsicherheit. Doch was passiert, wenn die Beschwerden trotz glutenfreier Ernährung bleiben? Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Müdigkeit verschwinden nicht immer automatisch mit dem Verzicht auf Gluten. Die neue Forschung zeigt: Es liegt nicht immer am Gluten selbst. Ein genauer Blick auf Fruktane, Darmgesundheit und personalisierte Ernährung ist der nächste Schritt.

Die Erfolgsgeschichte der glutenfreien Ernährung

Die glutenfreie Ernährung – auch GFD (gluten-free diet) genannt – ist seit über 85 Jahren eine medizinische Erfolgsgeschichte. Der niederländische Kinderarzt William Dicke erkannte bereits in den 1940er Jahren, dass Kinder mit Zöliakie deutlich weniger Beschwerden hatten, wenn sie auf glutenhaltige Getreideprodukte verzichteten. Für Menschen mit Zöliakie ist die GFD bis heute die einzige Therapie. Sie rettet Leben, verhindert Entzündungen im Dünndarm und schützt vor schweren Folgeerkrankungen. Die GFD hat sich über Jahrzehnte bewährt und wurde stetig verbessert. Die Qualität glutenfreier Produkte ist gestiegen – sowohl geschmacklich als auch ernährungsphysiologisch.

Doch mit dem steigenden Angebot wächst auch die Zahl der Menschen, die glutenfrei leben – ohne dass eine medizinisch gesicherte Diagnose vorliegt. Studien zeigen, dass viele dieser Menschen unter sogenannten glutenähnlichen Symptomen leiden – dabei könnte eine andere Ursache dahinterstecken: Fruktane.

Die Schwächen der glutenfreien Ernährung – was die neue Forschung zeigt

Die GFD ist nicht für jeden die Lösung. Neue Studien zeigen, dass bei vielen Menschen eine Glutenunverträglichkeit vermutet wird – obwohl es sich in Wahrheit um eine Empfindlichkeit gegenüber Fruktanen handelt, die z. B. in Weizen, Knoblauch oder Zwiebeln enthalten sind. Diese FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole) können im Darm zu Gasbildung und Schmerzen führen – unabhängig von Gluten.

Auch die aktuellen Grenzwerte für glutenfreie Produkte werden diskutiert: Der Codex Alimentarius erlaubt bis zu 20 ppm Gluten. Für manche Zöliakie-Patient*innen ist das bereits zu viel. Besonders kritisch wird dies bei gleichzeitig bestehender Weizensensitivität oder Weizenallergie. Ein kompletter Verzicht auf Gluten – einschließlich Spuren – ist hier oft notwendig, aber schwer umzusetzen. Diese Unsicherheit führt viele Betroffene zu strengeren Diäten, oft ohne die gewünschte Besserung.

Ein zusätzlicher Aspekt betrifft die Rezeptur glutenfreier Lebensmittel. Inulin, ein Fruktan aus der Gruppe der FODMAPs, wird häufig als funktioneller Zusatzstoff verwendet – zur Verbesserung der Textur, des Geschmacks, der Stabilität und sogar der faserbezogenen Gesundheitswirkung von Produkten. Diese technologische Verwendung von Inulin wird in der Zutatenliste zwar erwähnt, jedoch ist keine Mengenangabe oder Warnhinweis erforderlich. Da Inulin als Ballaststoff gilt, ist er rechtlich nicht als problematischer Zusatzstoff klassifiziert. Für empfindliche Personen kann dies jedoch Folgen haben – insbesondere bei Zöliakie oder nicht-zöliakischer Weizensensitivität. Die Symptome ähneln oft denen einer klassischen Glutenreaktion, was eine genaue Differenzierung erschwert.

Ursachen für die Nicht-Effizienz der glutenfreien Ernährung

Warum bleibt die Besserung trotz konsequenter GFD aus? Die Ursachen sind vielfältig:

  • Versteckte Fruktane in glutenfreien Produkten (z. B. durch Inulinzusatz)

  • Unzureichende Kennzeichnung der Inhaltsstoffe

  • Nebendiagnosen wie FODMAP-Intoleranz, Sorbitunverträglichkeit oder Dünndarmfehlbesiedelung

  • Fortbestehende Dysbiose im Darm trotz GFD

  • Mikronährstoffmängel, die die Regeneration hemmen

Ein umfassender Blick auf die Ernährung sowie eine Differenzierung möglicher Ursachen ist notwendig. Hier rückt die Bedeutung funktioneller Kohlenhydrate wie Inulin ins Zentrum aktueller Forschung.

Mikronährstoffe im Mangel – ein unterschätztes Risiko

Menschen mit Zöliakie oder langjähriger Glutenunverträglichkeit leiden häufig unter Mangelzuständen. Besonders häufig: Eisenmangel. Da Eisen hauptsächlich im oberen Dünndarm aufgenommen wird – genau dort, wo Zöliakie entzündlich wirkt –, bleibt oft eine latente oder manifeste Anämie bestehen. Auch Mängel an Vitamin D, B12 oder Folat sind verbreitet, teils verstärkt durch Medikamente oder persistierende Schleimhautveränderungen.

Gezielte diagnostische Maßnahmen können helfen, die Ursachen einzugrenzen und personalisierte Therapieansätze zu ermöglichen – nicht nur bei schweren, sondern auch bei subtilen Verläufen.

Die stille Gefahr: Leberverfettung bei glutenfreier Ernährung

Glutenfrei heißt nicht automatisch gesund. Im Gegenteil: Viele glutenfreie Produkte enthalten viel Zucker, einfache Kohlenhydrate und wenig Ballaststoffe. Inzwischen zeigen Studien, dass Menschen mit Zöliakie, die eine GFD einhalten, ein erhöhtes Risiko für MASLD (metabolisch-assoziierte Fettlebererkrankung) haben.

Der Grund: Die Kombination aus besserer Nährstoffaufnahme, erhöhter Kalorienzufuhr und unzureichender Ballaststoffaufnahme. Hier kommt Inulin ins Spiel – ein präbiotischer Ballaststoff, der den Fettstoffwechsel verbessern und die Insulinresistenz senken kann. Studien zeigen, dass Inulin insbesondere bei Menschen mit Risiko für metabolische Syndrome eine positive Wirkung entfalten kann.

Mikrobiom und Dysbiose: Die unterschätzte Ursache anhaltender Beschwerden

Die Forschung zeigt: Selbst bei erfolgreicher GFD bleibt das Mikrobiom gestört. Der Mangel an gesunden Darmbakterien wie Bifidobakterien oder Lactobazillen sowie die Zunahme von potenziell schädlichen Keimen wie Bacteroides oder E. coli fördern eine chronische Entzündungsneigung im Darm.

An dieser Stelle könnten Prebiotika wie oligofructose-angereichertes Inulin eine Rolle spielen. Sie gelten als hitzestabil und können industriell verarbeitet werden. Das macht sie technisch ideal für glutenfreie Backwaren, könnte aber bei intoleranten Personen Beschwerden hervorrufen – ein Spannungsfeld zwischen Nutzen und Risiko.

Warum Fruktane oft die wahren Übeltäter sind

Viele Menschen, die sich glutenfrei ernähren, berichten über anhaltende Symptome – trotz völliger Glutenfreiheit. In Wahrheit sind es oft Fruktane, die Probleme machen. Diese stecken nicht nur in Weizen, sondern auch in vielen anderen Lebensmitteln: Knoblauch, Lauch, Chicorée, Artischocken oder Zwiebeln. Sie sind komplexe Kohlenhydrate, die im Dünndarm nicht vollständig verdaut werden und im Dickdarm zu Gärung und Gasbildung führen – mit Folgen wie Blähungen, Druckgefühl oder Schmerzen.

Ein besseres Verständnis individueller Toleranzen ist hier entscheidend für eine nachhaltige Ernährungsstrategie.

Die Zukunft: Personalisierte Ernährung statt pauschaler Verzicht

Die GFD bleibt bei Zöliakie weiterhin alternativlos. Doch für viele andere Patienten ist sie nur der erste Schritt. Personalisierte Ernährung bedeutet: Die individuelle Reaktion auf bestimmte Lebensmittel wird getestet und berücksichtigt – nicht pauschal vermieden.

Hier setzt moderne Diagnostik an: mit Methoden, die helfen, Intoleranzen und Mangelzustände zu identifizieren, um gezielt zu handeln. Nicht immer ist es „das Gluten“. Manchmal ist es Fruktan, Sorbit oder eine gestörte Darmflora.

Eine neue Ära der Ernährung hat begonnen – individuell, evidenzbasiert und alltagstauglich.

Fruktan-Atemtest und Zöliakie-Diagnostik

Trotz strenger glutenfreier Ernährung bleiben bei vielen Menschen Beschwerden bestehen – etwa Blähungen, Völlegefühl oder Bauchdruck. Die Ursache liegt nicht selten in der fehlenden Differenzierung zwischen Gluten und Fruktanen. Besonders kritisch: Inulin, ein häufig zugesetztes Fruktan in glutenfreien Produkten, wird oft nicht als problematisch wahrgenommen, kann aber bei empfindlichen Personen ähnliche Symptome auslösen wie Gluten selbst.

Ein Fruktan-Atemtest hilft dabei, genau diese individuelle Reaktion sichtbar zu machen – einfach, nicht-invasiv und alltagstauglich. In Kombination mit einer Zöliakie-Screening-Diagnostik ermöglicht dieser Ansatz eine differenzierte Betrachtung der Ursachen. So lässt sich klären, ob tatsächlich eine Zöliakie, eine Weizensensitivität oder eine Fruktanintoleranz hinter den Beschwerden steckt – und welche Ernährung wirklich hilft.

Für Menschen, die trotz glutenfreier Ernährung nicht beschwerdefrei leben können, bietet diese Diagnostik eine große Chance: Weniger Verzicht, mehr Klarheit – und ein Alltag ohne permanente Einschränkungen.

 

Literatur: Catassi C, Chirdo FG. The Gluten-Free Diet: The Road Ahead. Nutrients. 2025 Mar 31;17(7):1226. doi: https://doi.org/10.3390/nu17071226. PMID: 40218984; PMCID: PMC11990309.

 

Geschrieben von: Bahtier Kurbanov